Zahl der Tropennächte in Berlin könnte sich verfünffachen

Die Jahresmitteltemperatur in Deutschland ist gegenüber 1881 um 1,4 Grad gestiegen. Von den vergangenen 25 Jahren waren 23 zu warm. Das sind die Kernaussagen einer Mitteilung des Deutschen Wetterdienstes vom Dienstag. Berlin wiederum ist das wärmste und trockenste Bundesland. Ein besonderer Wärmeinseleffekt hebt die Stadt aus den umliegenden Regionen heraus. Der wohl kaum noch zu leugnende Klimawandel wirkt sich also besonders deutlich auf Berlin aus. Doch was bedeutet das? Und vor allem: Welche Aussichten gibt es für die Stadt?

Mit dieser Frage beschäftigen sich Wissenschaftler der Technischen Universität (TU) Berlin. Im Projekt „Kiezklima“ haben sie Wetterdaten für Berlin gesammelt, ausgewertet und dargestellt, wie sich das hiesige Klima in den nächsten Jahrzehnten entwickeln könnte. „Außerdem haben wir die klimatischen Bedingungen in einem Pilotgebiet, dem Brunnenviertel im Wedding, analysiert“, sagt Daniel Fenner, wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem Projekt. Die Daten stammen von Stationen des Deutschen Wetterdienstes in Berlin und aus dem stadtweiten Messnetz des TU-Fachgebiets Klimatologie mit zwölf Anlagen. Ferner wurden für das Projekt im Jahre 2015 fünf neue Wetterstationen im Brunnenviertel aufgestellt.

„Dadurch haben wir zwar gegenwärtig noch keine Langzeitdaten“, sagt Fenner. Die gewonnenen Informationen zeigten aber zum Beispiel, wo die Hitze im Sommer die Bewohner besonders belaste und entsprechend Handlungsbedarf bestehe. Außerdem werteten die Klimatologen Daten aus den regionalen Klimamodellen der Euro-Cordex-Initiative aus, um Aussagen über die Zukunft zu treffen. „Wer die Entwicklung des Klimas auf lokaler Ebene untersucht, muss natürlich die globalen Einflussfaktoren mit berücksichtigen“, sagt Fenner.

Auf Basis dieser Klimamodelle gibt es verschiedene Szenarien für die weitere Entwicklung. Die TU-Wissenschaftler haben sich für das Szenario „Business as usual“ entschieden. „Es wird dabei angenommen, dass die Emissionen von Treibhausgasen bis 2100 weiter ansteigen“, sagt Fenner. Schließlich könne man im Moment nicht davon ausgehen, dass die Beschlüsse der Klimaverhandlungen in Paris erfolgreich umgesetzt werden.

Blick in das Brunnenviertel

Wie also könnte das Klima in Berlin im Jahr 2100 unter diesen Vorzeichen aussehen? „Es wird viel wärmer sein als heute“, sagt Fenner. Um zu verdeutlichen, was das heißt, führt er die Anzahl heißer Tage und Tropennächte an. Heiße Tage sind Tage, an denen das Thermometer über 30 Grad Celsius steigt, und Tropennächte sind Nächte, in denen die Temperaturen nicht unter 20 Grad Celsius fallen. „In dem Zeitraum von 1961 bis 1990 waren durchschnittlich sieben Hitzetage pro Jahr und ein oder zwei Tropennächte normal“, sagt Fenner. „Im Zeitraum 1981 bis 2010 sind es zehn Hitzetage und zwei Tropennächte.“ Die durchschnittliche Anzahl der heißen Tage im Jahr werde sich bis zum Ende des Jahrhunderts fast vervierfachen – bis zu 38 Hitzetage seien dann möglich, sagt Daniel Fenner. Die Zahl der Tropennächte könne sich verfünffachen.

Doch nicht nur die Sommer werden wärmer – auch die Winter. Im Moment gibt es laut Fenner rund 21 Eistage im Jahr, also Tage, an denen die Temperatur nicht über 0 Grad Celsius steigt. Im Jahr 2100 sei nur noch mit durchschnittlich fünf Eistagen im Jahr zu rechnen. „Es wird also mildere Winter mit weniger Eis und Schnee geben“, sagt der Wissenschaftler.

Neben den Temperaturen ist Niederschlag von Bedeutung. Hier zeigen die Ergebnisse, dass die Jahre bis 2100 feuchter sein werden, wobei mit einer Zunahme des Regens um etwa 13 Prozent zu rechnen sei. Im Fokus steht dabei der Starkregen. „Im Moment tritt er etwa drei Mal im Jahr in Berlin auf“, sagt Fenner. „Relevante Änderungen hat es da in den vergangenen 50 Jahren nicht gegeben.“ Der Blick in die Zukunft zeige einen Anstieg um etwa 44 Prozent bis zum Jahr 2100 – also werde es dann vier bis fünf Mal im Jahr vom Himmel prasseln.

„Diese Ergebnisse sind Durchschnittswerte für Berlin-Brandenburg“, sagt der TU-Wissenschaftler. Genauere Angaben für die Stadt oder gar einzelne Stadtteile seien mit den derzeit verfügbaren Daten aus regionalen Klimamodellen nicht möglich. Hitze und Starkregen wirkten sich aber besonders in stark bebauten Gebieten negativ aus. „In der Stadt verschärft sich das Hitzeproblem, da die Häuser und Straßen die Hitze speichern und nachts abstrahlen.“ Die Wassermassen von Starkregen könnten wiederum in den Straßen nicht versickern, Abwasser-Systeme seien schnell überlastet.

Um die heutige Situation im Stadtinnern zu beschreiben, schauen sich die Forscher das lokale Klima eines Kiezes genauer an. Sie haben dafür einen Teil des Brunnenviertels zwischen Humboldthain und Mauerpark gewählt. Dessen fünf- bis sechsgeschossige Häuser stammen größtenteils aus der Nachkriegszeit. Man findet offene Höfe ohne Hinterhäuser sowie kleine Plätze und Grünschneisen. Das Viertel ist stark bebaut – aber in Berlin gibt es durchaus stärker bebaute Kieze. „Ausgewählt wurde das Brunnenviertel unter anderem, weil es dort bereits seit zehn Jahren ein Quartiersmanagement gibt“, sagt Fenner. Das ermögliche einen besseren Zugang zu den Bewohnern. Dieser sei auch besonders wichtig für die gemeinsame Entwicklung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel im Rahmen des „Kiezklima“-Projekts.

Stehende, heiße Luft

„Die bioklimatische Belastung der Menschen ist stark durch Gebäude und Vegetation beeinflusst“, erläutert Fenner. „Durch die Bebauungsstruktur mit grünen Höfen gibt es im Brunnenviertel tagsüber nur wenige Bereiche, die im Sommer sehr heiß sind.“ Trotzdem sei die Situation zum Beispiel an Orten ohne hohe Bäume wie auf Sportplätzen, in einigen Höfen und entlang der Bernauer Straße sehr schlecht und müsse dringend verbessert werden. Nachts sei es während Hitzeperioden im Brunnenviertel sehr warm. „Die bestehende Bebauung lässt nur wenig frische Luft herein“, sagt Fenner. Die stehende, heiße Luft werde von den Gebäuden, die die Wärme des Tages abstrahlten, daran gehindert, sich abzukühlen. „Hitze am Tag kann bereits ein großes Problem darstellen, da sie Stress für den Körper bedeutet. Wenn es außerdem in der Nacht heiß bleibt, fehlt die dringend notwendige Erholung.“ In Tropennächten gebe es in Berlin mehr Todesfälle als in normalen Nächten.

Was kann man also tun? Fenner betont die Bedeutung von sogenannten No-Regret-Maßnahmen – also solchen, die auch schon unter heutigen Klimabedingungen sinnvoll sind. „Zum Beispiel die Entsiegelung von Parkplätzen und Wegen“, sagt er, die Nutzung versickerungsfähiger Materialien wie Rasengittersteinen. Oder das Bepflanzen von Grünflächen mit Bäumen, um mehr Schatten zu bieten. Aber auch aufwendigere Umbauten wie Dachbegrünung oder weiße Dächer könnten sich positiv auf das lokale Klima auswirken.

Was genau umgesetzt wird, liegt nicht in Fenners Hand. Im nächsten Schritt werden die am Projekt beteiligte L.I.S.T.-Stadtentwicklungsagentur mit der degewo, dem Bezirksamt und interessierten Bewohnern des Brunnenviertels in Workshops überlegen, wie die negativen Folgen von Hitze und Starkregen gemildert werden können. Bis November soll ein Katalog mit konkreten Ideen fertig sein. Ausgewählte Maßnahmen sollen dann innerhalb eines Jahres umgesetzt werden.