Zum 90. Geburtstag des Historikers Arnold Paucker. Aufgewachsen in Berlin, leitete er vier Jahrzehnte lang das Londoner Leo Baeck Institut: Gegen die Mär vom wehrlosen Juden
Für Politik interessierte sich schon der Elfjährige. Kein Wunder, sah er doch die SA durch Berlin marschieren und Nazis überfielen ihn 1932 im Schwimmbad Halensee, weil er die drei Pfeile der linken Eisernen Front auf der Badehose trug. Da riet er den bürgerlichen Eltern, jetzt als Juden die Sozialdemokraten zu wählen.Aufgewachsen war Arnold Paucker in einer durchaus assimilierten Familie in der Mommsenstraße als Sohn eines Fabrikanten von Lederwaren. Schon mit 15 Jahren verließ er Deutschland 1935 mit der jüdischen Jugendgruppe Werkleute und erhielt in Palästina eine landwirtschaftliche Ausbildung. Die hat ihn als jungen Intellektuellen nicht geprägt, wohl aber der sozialistische Zionismus des Jugenddorfes Ben Shemen mit der Betonung des jüdisch-arabischen Ausgleichs. Ende 1941 meldete sich der junge Antifaschist als Freiwilliger zur britischen Armee und nahm in der Achten Armee an den Kämpfen in Italien teil. Im befreiten Bologna sang er begeistert mit den italienischen Partisanen die Internationale: "Wir fühlten damals als Juden, dass wir nicht alleine gewesen waren."Nach Ende des Krieges blieb Arnold Paucker noch in Florenz, wo er bei einem Sommerkurs der Universität seine spätere britische Frau Pauline kennenlernte. 1950 ging er nach England und fühlte sich hier sofort zu Hause als Brite, obgleich er Englisch bis heute mit einem deutschen Akzent spricht. Durch Emigration und Krieg bedingt, musste er mit Anfang dreißig in England zunächst das Abitur nachholen und studierte dann Germanistik an der Universität Birmingham. Er spezialisierte sich dabei auf Literatur in Westjiddisch, der Sprache der deutschen Juden bis zur Emanzipation.Das Jahr 1959 brachte dann die entscheidende Wende in Arnold Pauckers Leben. Nach Abschluss des Studiums erhielt er ein Stellenangebot als Direktor des jungen Leo Baeck Instituts in London. Dieses Institut war 1955 in Jerusalem von Emigranten aus Deutschland gegründet worden zur Bewahrung und Erforschung ihres Erbes, der deutsch-jüdischen Geschichte. Bis heute gibt es das Leo Baeck Institut an den drei großen Zentren der jüdischen Emigration aus Deutschland - in Jerusalem, London und New York.Das Londoner Institut suchte als Direktor einen deutsch-jüdischen Emigranten mit britischer Universitätsausbildung - und fand Arnold Paucker. Niemand konnte damals ahnen, dass er dieses Institut 42 Jahre lang bis ins achtzigste Lebensjahr mit großem Geschick aufbauen und dann zu unübersehbarem internationalen Erfolg führen sollte. In diesem außeruniversitären Forschungsinstitut wurde Arnold Paucker zum leidenschaftlichen Historiker, zum bedeutenden Herausgeber und zum Wissenschaftsmanager von hohem Rang. Als Herausgeber, zunächst gemeinsam mit Robert Weltsch, hat Paucker das Jahrbuch des Instituts vollständig professionalisiert und international zum führenden Organ für die Geschichte des deutschsprachigen Judentums gemacht. Er erweiterte die Themen ideenreich und zog interdisziplinär jüngere Wissenschaftler zur Mitarbeit heran.Erstaunlich ist, dass Paucker neben der Institutstätigkeit Zeit zu eigener Forschung fand. Er konzentrierte sich auf einige Hauptthemen, die er mit Leidenschaft neu in die Forschung einführte: den Abwehrkampf der deutschen Juden gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus in der Weimarer Republik, den Widerstand von Juden in Nazi Deutschland und den Kampf jüdischer Soldaten gegen den Faschismus im Zweiten Weltkrieg. Für seine wissenschaftlichen Leistungen erhielt er 1975 den Doktorgrad der Universität Heidelberg und 1996 den Ehrendoktor der Universität Potsdam. Zum siebzigsten Geburtstag wurde er 1991 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.Personell ist das Londoner Institut immer klein geblieben, aber seine wissenschaftlichen Kontakte umspannten mehrere Kontinente. Eine besondere Aufgabe sah Arnold Paucker für das Londoner Leo Baeck Institut schon bald darin, mit deutschen Historikern zusammenzuarbeiten, die sich seit den Sechziger- jahren zunehmend mit deutsch-jüdischer Geschichte zu beschäftigten begannen. Arnold Paucker hat sie in seiner kommunikativen Art ohne zu zögern zur Mitarbeit eingeladen und ist mit vielen von ihnen schon seit Jahrzehnten durch persönliche Freundschaft verbunden. Daher freuen sich gerade diese deutschen Wissenschaftler darüber, dass Paucker heute seinen 90. Geburtstag mit dem gewohnten Humor begehen kann.------------------------------Foto: Der Historiker Arnold Paucker