Zur Uraufführung von Hochhuths "Hitlers Dr. Faust" im Schlosspark-Theater: Zeitlebens in die falsche Richtung
Rolf Hochhuth rührt in seiner Tragödie "Hitlers Dr. Faust" an ein Epochenproblem: Dass Wissen nur dann Macht wird, wenn es sich der Macht bedient. Zum Exempel wird ihm die Biografie von Hermann Oberth. Seit seiner Jugend (1894 geboren) begeisterte sich dieser Wissenschaftler an der Idee, mit "Raketen zu Planetenträumen" zu fliegen. Die 1922 vorgelegte Dissertation inspirierte Ende des Jahrzehnts zu praktischen Versuchen auf dem "Raketenflugplatz Berlin-Tegel". Nach der Machtergreifung der Nazis wurde das Raketenprogramm zu einem wesentlichen Bestandteil der Wiederaufrüstung. 1937 wurde der 25-jährige Schüler Oberths Wernher von Braun zum Technischen Direktor der Raketenversuchsanstalt Peenemünde berufen, Oberth folgte 1940 dorthin. Die deutschen Raketenbauer unter Leitung von Braun wurden nach dem Krieg in die USA verbracht, um im Wettlauf mit den Sowjets das Raketenprogramm voranzubringen. Oberth war 1969 Augenzeuge des Starts von "Apollo II", die Astronauten zum Mond brachte. 1989 starb er in Nürnberg, immer noch überzeugt, dass Hitler den Krieg hätte gewinnen können, hätte er nur rechtzeitig die Bedeutung der Raketen erkannt.Dass Oberth, wie Hochhuth unterstellt, mit seiner Bereitschaft, für Hitler Raketen zu bauen, gleich Faust einen "Teufelspakt" abschloss, hat dieser nie so aufgefasst. Oberths Mentalität entsprach vielmehr die widersprüchliche Erkenntnis, dass wissenschaftlich-technischer Fortschritt eben nur durch die Verwertbarkeit für militärische Zwecke finanzierbar sei. Wenn Hochhuth in seiner Interpretation Oberth beim Besuch des Weltraumfahrtmuseums in Washington in der Entwicklung eines "Raketenschutzschildes" die Voraussetzung für die Entwicklung eines menschheitsfreundlich gemeinten Weltraumspiegels erblicken lässt, so dürfte er ganz richtig liegen. Die Oberth in den Mund gelegte Befürchtung, zeitlebens in die falsche Richtung gegangen zu sein, ist also kaum mehr als eine dramatische Floskel. Und sie ist nur ein moralisches Feigenblättchen für Hochhuths eigene Unentschlossenheit in der Beurteilung einer solchen Haltung. Die dramatische Rekonstruktion der Biografie Oberths weist im Prolog die größte Spannung auf, in dem der junge Oberth mit seiner Braut über die Unvermeidlichkeit des Paktierens mit der Macht streitet, um sich in die Selbstillusion zu retten, durch eine Superwaffe die Kriegsführung unmöglich zu machen. Der Sprung in den ersten Akt ist so abrupt wie gewollt: Der Atomwissenschaftler Niels Bohr ist 1943 auf der Flucht aus Dänemark. Die Szene ist ganz und gar unwahrscheinlich mit Informationen über den Stand der geheimen Atom- und Raketenforschung voll gestopft. Im zweiten Akt dann die Auszeichnung Oberths zu seinem 50. Geburtstag mit dem Kriegsverdienstkreuz, gipfelnd in der Mitteilung, dass seine Tochter bei einem Bombenangriff ums Leben kam. Im dritten schließlich der Besuch im Weltraumfahrtsmuseum von Washington. Alles in allem ist das Stück ohne scharfe Konfrontation des Helden mit einem wirklichen Gegenspieler, wie etwa der Atomforscher Möbius in Dürrenmatts "Physikern".Da ist schon bemerkenswert, dass Marcello de Nardo als Regisseur der Uraufführung doch wenigstens der ideellen Problematik eine entsprechende Aufmerksamkeit zu verschaffen wusste. Vor einem blutgewittrigen Hintergrund (Stefan Mannteuffel) erspielen im Prolog Jens Ole Schmieder als junger Oberth und Christine Bangert als junge Mathilde die Lebensentscheidung: Sich den Mächtigen andienen, um den Traum vom Weltraumfliegen zu verwirklichen, oder sich zur Unbedeutsamkeit verdammen. Den Flucht-Akt lässt de Nardo, soweit es nur gehen will, verkürzt spielen. Als Raketenforscher gewinnen Hermann Treusch als Oberth und Christine Wodetzky als eine gegen den "Teufelspakt" Bedenken tragende Frau im 2. Akt Profil, in dem Holger Schulze als General so recht auch nur ein Stichwortbringer für Oberth zu sein hat. Im dritten Akt hat Rüdiger Kühlbrodt als Astronaut Aldrin skeptische Positionen gegen SDI einzubringen, während Emese Fay die darüber begeisterte Museumsdirektorin zu mimen hat.CLAUDIA ESCH-KENKEL Der Forscher diskutiert: Jens Ole Schmieder, Christina Bangert.