Zwei neueröffnete türkische Musikschulen und ihre ideologischen Outfits: Die temperierte Langhalslaute

Der Türke als Unternehmer und Steuerzahler, der sonst gern im Zusammenhang mit Gemüse gelobt wird, dringt zur Zeit in Gestalt zweier konkurrierender Musikschulchefs ins Berliner Kulturleben vor. Die Geschäftsidee scheint vital, die Marktanalyse gelungen: die "Berliner Orient-Musikschule", die Adil Arslan im Schöneberger Kulturhaus eröffnet hat, zählte schon vor dem Start der eigentlichen Werbekampagne mehr als siebzig Schüler, und der mit Fernsehspots arbeitende Nuri Karademirli zog in kurzer Frist mehr als hundert Vertragsunterzeichner in sein Kreuzberger "Konservatorium für türkische Musik Berlin".Beide Anbieter können sich innerhalb der türkischen Gemeinde auf einen hohen Bekanntheitsgrad stützen. Nuri Karademirli spielte als Staatsmusiker Kurzhalslaute (Ud) beim Rundfunk von Izmir, ehe er 1969 nach Berlin umsiedelte, wo er Kaufhausmanager wurde, Elektroingenieur und Besitzer einer Firma für Sensoren. Nebenher gab er Lautenunterricht, trat mit diversen Ensembles in Musikrestaurants auf und dirigierte den ersten Chor für klassische türkische Kunstmusik in Berlin.Adil Arslan kam 1979 aus einem alevitischen Dorf in Ostanatolien nach Berlin. Von seinem autodidaktisch erworbenen Spiel auf der Langhalslaute (Baglama) konnte er bald profitieren: Als nach dem Militärputsch von 1980 Tausende türkische Eltern ihre Kinder nach Deutschland geholt hatten und zugleich die Wertschätzung der Baglama durch einige populäre Virtuosen deutlich gestiegen war, ließ sich die Nachfrage nach Unterricht kaum mehr befriedigen. Arslan war an mehreren Berliner Musikschulen tätig, pflegte seine Kontakte in der Türkei und holte Stars wie Arif Sag, Musa Eroglu und Zülfü Livaneli zu großen Konzerten.Diplom aus der TürkeiDie Vermarktungsstrategien, deren sich die beiden Musiker für ihre nun eröffneten Schulen bedienen, zielen beinahe ausschließlich auf soziokulturelle Reflexe. Karademirli beschäftigt Dozenten mit eher undurchsichtigen Qualifikationen. Seine hell renovierten Hinterhausräume aber hat er mit Atatürk-Porträts und goldenen Notenfriesen mit uneuropäischen Metren geschmückt; als Unterrichtschwerpunkt nennt er die klassische türkische Kunstmusik, sein größter Trumpf ist die Verbindung mit der Türkei. Die Konservatoriumsschüler, so versichert er, werden nach fünf Jahren von einer Kommission geprüft, die das Staatliche Konservatorium in Istanbul nach Kreuzberg entsendet, und erhalten nachfolgend ein in der Türkei anerkanntes Diplom.Bei Adil Arslan, der seine Orient-Musikschule im Schöneberger Kulturhaus eingerichtet hat, arbeiten zwei diplomierte Baglama-Lehrer aus der Türkei. Der ländlichen Herkunft der meisten Berliner Türken gemäß wird Volksmusik-Unterricht im preiswerten Gruppenschema erteilt; die Imageträger aber heißen nicht Atatürk, sondern Richard von Weizsäcker, nicht Konservatorium Istanbul, sondern Philharmonie. In seinen im gehobenen Arztpraxenstil gehaltenen Räumen, die auffällig mit Messingschildern blinken, präsentiert Arslan Presseartikel über seine Karrierestationen in den achziger Jahren: ein Album "West-Östlicher Divan"; ein Doppelkonzert für Baglama, Gitarre und Kammerorchester, Konzerte zur 750-Jahr-Feier von Berlin; ein freundlich lächelnder Bundespräsident mit Baglama im Schloß Bellevue.Die Langhalslaute werde in der türkischen Folklore "fast temperiert" gespielt, wird dem Besucher versichert, "nur mit ein paar Vierteltönen". Groß ist die Sehnsucht nach Hochkultur, gewandt der Gebrauch der hiesigen Diskurse. "Sechzig Prozent Frauen", hebt Arslan auch hervor, oder daß "die Eltern kommen, weil sie hoffen, ihre Kinder enden dann nicht auf der Straße". Während die Konservatoriums-Konkurrenz problemlos Abgrenzung signalisiert ("damit die Kinder die eigene Kultur kennenlernen") und auf Radunski schimpft, weil der keine Hochschulanerkennung und kein Geld herausrückt, zeigt Arslan seine Ordner mit Behördenbriefen vor und betont die organisatorische Unterstützung.Unter dem polarisierenden ideologischen Outfit geht historisch wie alltagspraktisch aber alles kreuz über quer.Nicht nur die starken Bruchlinien zwischen ländlichem und höfischem Leben, zwischen Osmanenreich und moderner Republik lassen ja türkischen Kulturpatriotismus einigermaßen schwierig erscheinen: Man kann sich kaum etwas Türkeitreueres denken als Arslans Wunsch nach Anpassung an die Mehrstimmigkeit; schon Mahmud II. schaffte die berühmte Janitscharenmusik ab und stellte Guiseppe Donizetti als Kapellmeister an; Atatürk führte westlichen Musikunterricht als Pflichtfach an den Schulen ein und ließ türkische Mus ik im Radio verbieten. Die türkische Kunstmusik andererseits, die man in Karademirlis national gesinnter Institution erlernen kann, ist eine rein städtische Erscheinung, eigentlich arabischen Ursprungs und stammt zu einem Gutteil von griechischen, armenischen und jüdischen Komponisten.Die Gitarre ist integriertDas Gesetz der Nachfrage verwischt endgültig das Geschehen. Die Orient-Musikschule wird ihr Folkloreprogramm nicht nur in Richtung Europa erweitern: Arslan plant zwar, einen Klavierlehrer vom Konservatorium in Baku und einen italienischen Gitarristen einzustellen, die beide gut Deutsch sprechen; zugleich jedoch hält er Ausschau nach Dozenten für zwei wichtige Instrumente der türkischen Kunstmusik, Ud und Kanun. Und an Karademirlis patriotischem Konservatorium kann man schon jetzt neben der Kunstmusik auch Pop und Folklore studieren. Es gibt einen russischen Lehrer, einen griechischen Studenten, im Chor singen Deutsche. Gitarre, Klavier und Geige, die Konkurrent Arslan auf seinem Weg zum "Begegnungszentrum" erst noch einführen will, sind hier längst integriert.