Zweimal 20. Juli: Berlin ehrt Albrecht Haushofer, aber das Andenken an den 20. Juli bleibt weiter unverbindlich: Soldaten sind Selbstmörder
Auf dem Berliner Spreebogen-Gelände wurde am vergangenen Montag vor dem Bundesinnenministerium im Beisein Otto Schilys ein Denkmal für Albrecht Haushofer eingeweiht. Haushofer war ein Mann des 20. Juli, der in der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945 in der Nähe des Gefängnisses Lehrter Straße von der SS erschossen wurde. Noch in der Stunde der Hinrichtung trug der Professor der Politischen Geografie die Manuskripte seiner in der Haft entstandenen "Moabiter Sonette" bei sich, die ihn nach dem Krieg berühmt machten. "Kassandro", so heißt eines dieser Gedichte, "Kassandro hat man mich im Amt genannt,/weil ich der Seherin von Troja gleich,/die ganze Todesnot von Volk und Reich/durch bittre Jahr schon vorausgekannt".Tatsächlich lassen sich Haushofers Vorbehalte gegen den revolutionären Gestus des Nationalsozialismus ins Jahr 1933 zurückverfolgen, auch wenn er seine in der Tradition des Fürstenspiegels gehaltenen Römerdramen "Augustus", "Sulla" und "Scipio" Hitler persönlich überreicht haben soll. Seine zwischenzeitliche Doppelexistenz im Dritten Reich geht jedenfalls im Laufe des Jahres 1940 in eine entschiedene Gegnerschaft über. Gleichwohl unterzog sich Haushofer nach seiner Verhaftung, etwa in dem Sonett "Schuld", das jetzt auch auf dem Denkmal zu lesen ist, einer scharfen Gewissensprüfung: "ich kannte früh des Jammers ganze Bahn -/ich hab gewarnt - nicht hart genug und klar!"Errichtet hat das Denkmal die gleichnamige Stiftung Ernst Freibergers, jenes Vermieters des Spreebogen-Areals, der auch die Wiederaufstellung des Albrecht-Thaer-Denkmals am Schinkelplatz ermöglichte. Der erfolgreiche, etwas jungenhaft aufgekratzte Unternehmer, der neben Schily eine recht stolze Figur machte und sich in dessen Ministerium als "Hausherr" begrüßen ließ, will, um für ein "differenzierteres Bild von Deutschland" zu sorgen, mit diesen und weiteren Projekten der "Helden ohne Degen" gedenken.Gegen die Ehrung Haushofers hätte sich vermutlich noch vor einigen Jahren mancher Widerstand geregt. Immerhin war Haushofer Sohn des umstrittenen Generals, Professors und Geopolitikers Karl Haushofer und, wenn auch marginal, an der Erarbeitung von "Lebensraum"-Konzepten beteiligt. In gewohnt eleganter Rede würdigte Christoph Stölzl, Mitglied des Kuratoriums der Ernst-Freiberger-Stiftung, die durch Albrechts Großvater mit dem arrivierten Judentum verbundene bayerische Gelehrtenfamilie, wenngleich sie als aristokratisch gesonnene Elite weder mit den radikalen noch mit den demokratischen Tendenzen ihrer Zeit mitgehen mochte. Albrechts Schulfreund, der spätere Historiker Hermann Heimpel, hatte die englandfreundliche Atmosphäre des Elternhauses Haushofer als "realistisch durchsetzte Romantik" beschrieben und Albrecht als einen "Tory, der sich ins Theresiengymnasium verlaufen hatte".Als Generalsekretär der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin führte Haushofer in der südlichen Wilhelmstraße, im Zentrum der Macht, ein zurückgezogenes Junggesellenleben. Dank der Fürsprache des mit dem Vater befreundeten Rudolf Hess wurde Haushofer trotz der Rassengesetzgebung 1933 Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik und 1937 Professor für Politische Geografie und Geopolitik. Haushofer, der sich im Alter von 19 Jahren als "Anti-Demokrat aus Prinzip" bezeichnet hatte, dachte über korporative Formen der Repräsentation als Alternative zum Parlamentarismus nach, strebte eine föderative Neuordnung Europas an, verfasste gelegentlich Denkschriften für Hess und wurde von Ribbentrop mit verschiedenen Auslandsmissionen betraut. Wegen seines Bestrebens, den Versailler Vertrag in friedlicher Kooperation mit England, gewissermaßen durch eine deutsche "Appeasement-Politik", zu revidieren, geriet Haushofer wegen seiner "Secret-Service-Propaganda" nicht nur bei Ribbentrop in Verruf. Mit Hess geheimnisvollem Flug nach England im Mai 1941 endete Haushofers außenpolitische Tätigkeit und zugleich seine Hoffnung, das nationalsozialistische Regime in seinem Sinne beeinflussen zu können. Seither drängte er in seinen Gesprächen mit unterschiedlichen Kreisen des Widerstands immer wieder auf die Beseitigung Hitlers, notfalls auch durch ein Attentat. Gleichzeitig mit dem von dem tschechischen Künstler Josef Nalépa geschaffenen Denkmal präsentierte die Ernst-Freiberger-Stiftung auch ein neues Buch über Haushofer, das seine intellektuelle und politische Biografie erstaunlich einfühlsam aus den Bedingungen der Zeit erklärt: "Haushofer war ." - und da machte Verleger Kristof Wachinger auf der Pressekonferenz dann doch eine kleine Pause - " . ein konservativer Deutscher."Ob allerdings Haushofers Versuch, "das Schlimmste abzuwenden", wie Schily in seiner Begrüßung betonte, "ohne Wirkung bleiben musste", ist sehr die Frage. In dem geschichtspolitisch bemerkenswerten Bemühen, einen Mann wie Haushofer zu ehren, blieb der Kriegsgegner von einst kaum berücksichtigt. Denn Haushofers Vermittlungsversuche im Kriege blieben ohne Resonanz auch bei den Briten. Schon vor dem Attentat 1944 stießen solche Bemühungen auf den eisernen Willen Churchills, den deutschen Widerstand ins Leere laufen zu lassen, um den Krieg, anders als 1918, bis zum bitteren Ende zu führen.Gleichwohl bewies die Ehrung Haushofers eine Größe, die man in den jahrzehntelangen Diskussionen um den 20. Juli oft vermisste - insofern nun auch solchen Taten und Haltungen ein ehrendes Andenken zuteil wird, die kein reiner Vorschein der freiheitlich-demokratischen Grundordnung waren. Aus der Sicht jener Kritiker, die in den konservativen Offizieren und ihren Freunden bloß enttäuschte Nationalsozialisten sahen, durfte hier von Widerstand eigentlich gar keine Rede sein. Am Abend nach der Haushofer-Ehrung konnte man diese Töne in Berlin noch einmal hören. In einer Veranstaltung zur Wehrmachtsausstellung wurde im "Haus der Demokratie" die Frage diskutiert, ob man nicht manchen Attentätern vom 20. Juli angesichts ihrer Beteiligung an Verbrechen der Wehrmacht durch die Ehrung "ein falsches Alibi" ausstelle. Die Diskussion unter Leitung des Historikers Reinhard Rürup konzentrierte sich aber sehr schnell darauf, welche Bedeutung soldatische Traditionen überhaupt für das wiedervereinte Deutschland haben.Das gipfelte dann in der mit Applaus bedachten Äußerung eines jungen Mannes vom Kreuzberger "Büro für antimilitaristische Maßnahmen", der neben der "demokratischen" Seite des 20. Juli auf die "hässliche, pragmatische Seite" des Soldaten zu sprechen kam: die erfolgreichen Militärs hätten "alles gegeben, auch sich selbst. Dass sie sich korrigiert haben, ist okay, aber davor habe ich keinen Respekt."Aus antimilitaristischer Sicht ist es konsequent, auch die höchste Tugend des Soldaten, die Bereitschaft, sein Leben zu opfern, zu verwerfen: Soldaten sind Selbstmörder. Dies aber auch als Argument gegen den 20. Juli zu wenden, zeugt schon von einer erstaunlichen Indolenz gegen das tragische Schicksal jener Menschen und überhaupt gegen alle Lebensformen, die sich nicht leicht den heutigen Richtigkeiten anschmiegen.Angesichts solcher Indolenz aber kann es nur ein großes Missverständnis sein, wenn Rainer Haushofer neben der Büste seines Onkels die Wiederkehr des Denkmals begrüßte, als melde sich damit die identitätsstiftende Nationalkultur des 19. Jahrhunderts zurück.BERLINER ZEITUNG/MIKE FRÖHLING Büste Albrecht Haushofers (1903-1945) von Josef Nalépa am Spreebogen