Zweimal Tanztheaterszene: Nicole Caccivio und Sonja Romeis: Susi Wimmer singt und kugelt

Daß Nicole Caccivio für ihre Choreographien schon mehrere Preise erhalten hat - gleich zwei auf einmal beim Tanzfestival in Tel Aviv - merkt man ihren Arbeiten an. In ihrem neuen Stück "Stimulations", mit dem am Donnerstag die TanzZeit am Theater am Halleschen Ufer eröffnet wurde, bewegt sich alles auf hohem Niveau: die Technik der Tänzer, die Lichtregie, die Raumnutzung, die Zusammenbindung und Auflösung von Gruppenszenen. Wenn die wunderbare Celia Brown in einer Lichtdiagonale im Widerstreit der Bewegungen regelrecht gegen ihre Lust am Tanz anzukämpfen scheint, wenn in Duetten die Tänzer sich gerade dann reflexhaft in die Arme springen, wenn sie sich zerstreut im Beiläufigen zu verlieren drohen - dann hat die Schweizer Choreographin ihren Tänzern interessantes Material gegeben. Doch einen faden Beigeschmack wird man nicht los. Um die Logotherapie eines Dr. Viktor Frankl, so informiert das Programmheft, würde es in "Stimulations" gehen, nicht um Geschichten, sondern um Emotionen. Zwar werden die Zuschauer vom Live-Musiker Rupert Huber mit Maschinengeräuschen beschallt und die Tänzer treiben sich in Bewegungsausbrüchen an den Rand der Erschöpfung. Aber bei Caccivio werden nur Schlagworte aus dem neuen, alten Psychogewerbe ausgeteilt. Für ein Tanzstück ist das zu wenig.Lachende SteineDie Steinzeit und zwar die erste, die Altsteinzeit, ist die bis heute längste Epoche in der gesamten Menschheitsgeschichte. Davon, so scheinen es jedenfalls die Akteure des Sonja Romeis Tanztheaters und ihre Regisseurin Yoshiko Waki zu sehen, haben wir uns bis heute nicht erholt: Am Anfang war der Stein, danach kam nur noch die Mimesis. Und so baumeln in dem Tanzstück "Lachende Steine" große und kleine, behauene und unbehauene Steine von der Decke, sie fallen den Tänzern aus Achselhöhlen und Nasen, sie werden verspeist und wieder ausgespien, man versucht sich ihnen durch Meditation anzugleichen und auch beim Liebesakt spielen sie eine Rolle. Ein Ton Steine Scherben-Song dröhnt zu Beginn aus den Boxen, es folgen andere Lieder aus einer Zeit des Aufbruchs, der keiner geworden ist. Dann singt sich die sehr kleine und sehr kugelige Susi Wimmer die Lungen aus dem Leib und springt und kugelt koboldhaft über die Bühne oder Carola Schweiger steht cool und gedankenversunken vor dem Mikrophon. "Lachende Steine" ist über weite Teile weniger Tanzkunst als vielmehr verrückter, irgendwie leicht drogendurchtränkter Slapstick. Aber im Laufe des Abends verdichten sich die vielen kleinen Verrücktheiten zu einer höchst eigenwilligen poetischen Form. Vorstellungen: Nicole Caccivio am 8. 11., 21 Uhr, Hallesches Ufer; Sonja Romeis bis 8.11, 21 Uhr, Tacheles.