Zwischen juristischem Beweis und übler Nachrede: "Il Divo" widmet sich Giulio Andreottis Wirken: Der unbewegte Beweger

Der konservative Politiker Giulio Andreotti war zwischen 1972 und 1992 sieben Mal italienischer Ministerpräsident. Manchmal war er nur ein paar Monate im Amt, manchmal ein Jahr, zwei volle Jahre schaffte er nie. Das ist ungefähr so, als hätte Helmut Kohl während seiner langen Amtszeit zwischendurch immer mal wieder jemand anderen ans Ruder lassen müssen, am Ende lief es aber doch immer wieder auf ihn hinaus.Heute ist Giulio Andreotti, der vor einigen Wochen neunzig Jahre alt wurde, Senator auf Lebenszeit. Er ist das lebende Symbol der chaotischen italienischen Nachkriegsdemokratie, ein Archetyp der Macht, der am liebsten hinter verschlossenen Türen agierte und dem die konspirative Geste zur zweiten Natur wurde. Kann man über eine so dubiose Figur einen Film machen? Man kann, wenn man die nötige Imagination besitzt.Paolo Sorrentino erzählt in "Il Divo" die ganze Wahrheit über Giulio Andreotti. Die ganze Wahrheit gibt es in diesem Fall nur in Kombination mit viel Spekulation. Die Verstrickungen von Andreotti in die Entführung seines christdemokratischen Kollegen Aldo Moro durch linke Terroristen, seine Verbindungen zur Freimauerloge P2 mit ihren dunklen, bis in den Vatikan reichenden Geschäften, seine persönlichen Kontakte zu Mafia-Paten - nichts davon ist vor Gericht endgültig bewiesen worden, aber vielen Menschen gilt all das als wenn schon nicht gesicherte, so doch plausible Tatsache.Im Zwischenraum zwischen juristischem Beweis und übler Nachrede bewegt sich Paolo Sorrentino mit seinem Film. "Il Divo" ist dabei im strengen Sinn weniger ein Film über Andreotti als ein Meisterwerk über unsere Vorstellungen von Macht. Die Demokratie hat es mit sich gebracht, dass die Souveränität einen großen Teil ihres Geheimnisses verloren hat. Wir werden jetzt nicht mehr von einem König regiert, der von Gott gesalbt ist (und dessen Hände küssen muss, wer schlechte Haut hat), sondern von Abgeordneten aus der Nachbarschaft, die gelegentlich die Hand heben, wenn Angela Merkel oder Frank-Walter Steinmeier das so wollen. Wir haben uns daran gewöhnt, dass es bei Macht nicht mehr um Leben und Tod geht, oder wenn, dann auf eine sehr komplizierte Weise (man spricht dann von Gesundheitsreform!).Giulio Andreotti sah die Politik dagegen noch in einem klassischen, fast metaphysischen Schema: Dort war das Böse (zu seiner Zeit vor allem der Kommunismus), hier war das Gute (er selbst, Teile seiner Partei, die irdische Schutzmacht der USA und die überirdische Schutzmacht der katholischen Kirche). Damit das Böse nicht gegen das Gute obsiegen kann, müssen viele Vorkehrungen getroffen werden. Sorrentino widmet einen nicht geringen Teil seines Films dem Protokoll, mit dem ein Politiker sich umgibt - die Kamera fährt die langen Korridore entlang, auf denen sich die Taschenträger, Bittsteller, Einflussnehmer bewegen. Immer ist Andreotti am Ende des Korridors, in einem letzten Raum, in dem er fast gar nichts mehr tun muss - die Macht erhält sich durch einschüchterndes Schweigen.Toni Servillo, dem deutschsprachigen Publikum aus "Gomorrha" bekannt, spielt Andreotti als Gnom, der kaum einmal einen Finger rührt, stattdessen mit starrem Blick und verkrampfter Haltung auf dem Privileg der Macht besteht: Unberührbarkeit. Es ist ein Charisma der Negativität, das Andreotti bei Paolo Sorrentino auszeichnet. Wer den populistischen Popanz Berlusconi für den Inbegriff des postmodernen Politikers hält, wird in Andreotti den wahren Vorläufer erkennen - einen lächerlichen Menschen, der sich im Inneren der Macht verkriecht."Il Divo" trägt viele Zeichen einer Farce, aber unübersehbar ist Sorrentino von seinem Gegenstand auch wie hypnotisiert. Er bietet ganze Register brillanter filmischer Einfälle auf, über einige Strecken löst sich die historische Analyse, um die es auch geht, fast vollständig in Stil auf - in faszinierende Spiegelungen, Kamerafahrten, Gebäudeansichten. "Il Divo" setzt mindestens so sehr auf eine Architektur wie auf eine Psychologie der Macht - in der "ewigen Stadt" sind diese Assoziationen natürlich leicht herzustellen. Zu all dem kommt einer der besten Soundtracks der jüngeren Filmgeschichte, zwischen Klassik und Elektronik changierend, mit einer großartigen Pointe im Abspann.Es zählt zu den klassischen Motiven des politischen Kinos, dass das wahre Bild der Macht nur über die Paranoia zu gewinnen ist. "Il Divo" ist davon zutiefst geprägt, und Paolo Sorrentino gewinnt dadurch die souveräne erzählerische Freiheit, sich Giulio Andreotti so vorzustellen, wie ihn keine Fernsehkamera jemals zu Gesicht bekam: als unbewegten Beweger, den letzten Potentaten einer Macht jenseits von Gut und Böse.------------------------------Il Divo - Der GöttlicheItalien/Frankreich 2008, 117 Minuten, Farbe, Schwarz-Weiß.Regie und Buch Paolo SorrentinoKamera Luca BigazziMusik Teho TeardoDarsteller Toni Servillo, Anna Bonaiuto, Flavio Bucci, Fanny Ardant, Carlo Buccirosso, Paolo Graziosi.Ein Interview mit Paolo Sorrentino und weitere Kino-Rezensionen lesen Sie morgen im Kulturkalender.------------------------------Foto: Wie Helmut Kohl mit vielen Unterbrechungen: Giulio Andreotti (Toni Servillo), als er gerade mal wieder im Amt ist.